
ACG-Delegation in Praia
Als ich im Juni 2020 das Amt des ACG-Vorsitzenden übernahm, hatte ich angekündigt, die verloren gegangenen ACG-Kontakte zu den Kapverden zu reanimieren bzw. neue Kontakte zu knüpfen. Hierzu schien eine ACG-Begegnungs- und Studienreise ein geeignetes Mittel, und ein entsprechender Vorschlag wurde bereits 2021 an Mitglieder und Freunde gemacht. Im Verlauf der Diskussion stellte sich heraus, dass das Interesse an CV eher gering war. Stattdessen wurde eine ACG-Reise nach Guinea-Bissau vorgeschlagen, und die traf auf größeres Interesse. Diese Reise fand schließlich Ende 2022 mit 12 Teilnehmern statt.
Angesichts des bevorstehenden Centenário des Geburtstages von Amílcar Cabral wurde dann im Lauf des Jahres 2023 erneut eine ACG-Reise auf die Kapverden vorgeschlagen, die zunächst auf ein ähnlich großes Interesse stieß: aus dem Mitglieder- und Freundeskreis hatten bis zu 15 potentielle Teilnehmer ihre Interesse bekundet; dazu kamen noch etwa 5 Externe.
Auf dieser Basis wurde dann ein Besuchsprogramm geplant und vorbereitet, das zeitlich um den 12. September (Geburtsdatum AC) organisiert war. Allerdings reduzierte sich im Lauf des Jahres 2024 aus verschiedenen Gründen die Anzahl der Interessenten erheblich, so dass die Reisegruppe dann aus lediglich aus 6 Teilnehmern bestand (davon 2 Vorstandsmitglieder).
Die Reiseziele und -daten der Teilnehmer waren unterschiedlich und gruppierten sich entlang individueller Interessen. Der Zeitraum um den Gedenktag (9.- 14.09.24) war für die ACG-Kontakte und -Begegnungen vorgesehen, nämlich | |
Universidade de Cabo Verde (Simpósio Internacional) | 11.09.2024 |
ADAD (Januario Nascimento + Team) Fundacao Amílcar Cabral (Museum) | 11.09.2024 |
Offizielle Zeremonie am Cabral-Denkmal Konzert afrikanischer Pop-Musik am Cabral-Denkmal (abends) | 12.09.2024 |
Inst. Pedro Pires-IPP (Indira Pires) | 13.09.2024 |
Universidade de Santiago (Pr. Fernandez, Gründer + Rektor; Nardi Sousa) | 14.09.2024 |
Öffentliche Wahrnehmungen zum Centenário
Obwohl es zu Beginn des Jahres aus dem (PAICV-kritischen) Regierungslager noch Versuche gegeben hatte, das Centenário zu ignorieren bzw. als pure PAICV-Parteiveranstaltung abzuwerten, fanden schließlich doch landesweit zahlreiche Veranstaltungen statt. Außerdem wurden in der gesamten Stadt auf riesigen Plakaten das Ereignis insgesamt sowie einzelne Veranstaltungen beworben.
In diesem Kontext sind zwei Artikel im Wochenmagazin „Expresso das Ilhas“ vom 11.09.24 von besonderem Interesse, da sie die beiden Argumentations-Pole markieren, die den aktuellen Diskurs zur Person und politischen Botschaft von Cabral bestimmen:
-So schreibt der Politologe Daniel dos Santos, Autor eines Cabral-kritischen Buches „Amílcar Cabral – Um Outro Olhar“, dass Cabral eine Persönlichkeit sei „der Respekt zukomme, aber nicht in dem Maße, in dem das allgemein behauptet wird“. Gerade aus der kapverdianischen Perspektive spiele Cabrals Funktion als militärischer Führer („Comandante“) kaum eine Rolle. Und für die Kapverden gelte, dass die historische „Aura“ Cabrals in Schulen und Gesellschaft gepflegt und bewahrt werden. Allerdings sei er nie ein Staatsmann gewesen, sondern immer nur ein Parteiführer – zumal (in GB) der Führer einer Einheitspartei kommunistischen Typs, und deren Zeit sei definitiv vorbei.
(https://expressodasilhas.cv/pais/2024/09/12/centenario-de-Amílcar-cabral-e-a-uma-figura-a-respeitar-mas-nao-com-a-dimensao-que-se-fala/93240)
-Der Autor Bruno Spencer erinnert in seinem Artikel an Cabrals Rolle als politischer wie militärischer Anführer des bewaffneten Kampfes, wobei Cabral vor allem das Verdienst zukomme, zu seinen Lebzeiten aus seinem Exil in Conakry die Anerkennung der PAIGC (als Trägerin des antikolonialen Kampfes) auf pan-afrikanischer und internationaler Ebene bewirkt zu haben.
(https://expressodasilhas.cv/opiniao/2024/09/13/sobre-o-centenario-do-nascimento-de-Amílcar-cabral/93278)
Universidade de Cabo Verde – Simpósio Internacional
Dies ist die größte und einzige staatliche Universität. Der neue und großzügig angelegte Campus ist ein Leuchtturmprojekt der Zusammenarbeit mit China. Auffällig ist allenfalls die Lage: irgendwo im Nirgendwo zwischen der neuen (Santiago) und alten (Cidade Velha) Hauptstadt, mit spärlicher Verkehrsanbindung wirkt der Campus isoliert; ob man damit die -im Vergleich zu Dakar etwa- wenig aufmüpfigen Studenten vorsorglich aus der Stadt fernhalten wollte?
Die UniCV jedenfalls war der Ort eines internationalen Symposions zum Centenário, in dem an insgesamt 5 Tagen Beiträge zur historischen, aber auch zur aktuellen Bedeutung von Amílcar Cabral in zahlreichen Vorträgen beleuchtet wurde (wir waren bei einem dieser Vorträge anwesend, die die Rolle und Bedeutung der katholischen Kirche in der Übergangszeit zur Unabhängigkeit thematisierte).
Das Symposion fand sowohl in Santiago als auch in Bissau statt, teils mit virtueller Internet-Beteiligung. Und dies – in beiden Ländern- durchaus in Opposition zu den jeweiligen aktuellen Regierungen, die das Ganze tendenziell als eine PAI (-CV bzw. -GC)-lastige Veranstaltung eher kritisch begleiteten.[1]
Associação para a Defesa do Ambiente e Desenvolvimento (ADAD)
Mit ADAD bestehen seit längerem lose ACG-Kontakte; Einladungen zu deren Veranstaltungen konnten wir in der Vergangenheit leider nie wahrnehmen, so dass dieses Treffen mit dem gesamten Team (einschließlich einer spanischen Praktikantin vom benachbarten Archipel der Kanaren) eine erste persönliche Begegnung mit der ACG darstellte.
ADAD wurde 1991 gegründet mit der Zielsetzung, die Umweltproblematik sowohl an Land wie auf dem Meer ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Außerdem sollen Entwicklungsprojekte mit dem Fokus auf dem Kampf gegen Armutsbekämpfung, Wüstenbildung (Desertifikation) und der Sozialen Exklusion durchgeführt werden.
In diesem Kontext wird auch die ACG als (internationaler) Partner und Unterstützer wahrgenommen.
Eine der aktuelleren Aktionen war eine gemeinsam mit der deutschen Botschaft organisierte und unterstützte Podiumsdiskussion zu Umwelterziehung und Auswirkungen der Desertifizierung.
Damit sollte eine interessierte Öffentlichkeit insbesondere für die Themen Anpassung an veränderte Umwelt (Mitigation), Auswirkungen der Wüstenbildung und Zusammenhang zwischen Trockenheit und Wüstenbildung sensibilisiert werden.
Diese Veranstaltung fand im Zusammenhang mit der ADAD-Initiative “Salvar o Planeta Terra“ statt, um den 30. Jahrestag der UN-Konvention zur Desertifikation zu markieren[2].
Für künftige ACG-Veranstaltungen wurde eine Teilnahme von ADAD-Referenten (Präsenz / virtuell) in Aussicht gestellt; ebenso wird die ACG weiterhin Einladungen zu ADAD-Veranstaltungen erhalten.
Offizieller Festakt zum Centanário
Die zentrale Veranstaltung in Praia (zeremonielle Enthüllung einer Gedenkplakette am Amílcar-Cabral-Denkmal in der Baixa) wurde als sehr formelle und exklusive Veranstaltung (Staatsrepräsentanten, Militär, diplomatische Corps etc.) zelebriert, mit höchstens 50 Teilnehmern. Wir betrachteten die Veranstaltung von einer Art Bürgergarten-Terrasse in der Oberstadt aus.
Wesentlich volksnäher war dann ein abendliches Konzert populärer, meist westafrikanischer Pop-Gruppen und Sänger im Park um das Cabral-Denkmal, wozu sich eine große Menge Zuschauer versammelt hatte. Erstaunlicherweise (für Afrika) wurde nicht getanzt.
Das Cabral-Denkmal ist übrigens eine kommunistisch anmutende Monstrosität, wie man sie von Lenin-Denkmälern oder Statuen der nordkoreanischen Kim-Sippe her kennt: die in der sozialistischen Welt allgegenwärtige Führer-Figur mit wehendem Mantel und der Richtung-weisenden Geste der Hand (hat man Amílcar jemals mit so einem Mantel gesehen??). Und auf dieses Kommunisten- Klischee ist dann ein Amílcar-Kopf gepflanzt, der da einfach nicht hinpassen will. Möglicherweise ein Danaer-Geschenk Nordkoreas!
Fundação Pedro Pires
Treffen in den Räumen der Stiftung mit Indira Pires (Tochter des „Comandante“ Pedro Pires) sowie mit einer weiteren Mitarbeiterin.
Die Stiftung fördert Nachwuchs-Führungskräfte, vor allem -aber nicht ausschließlich- der PAICV, in Zusammenarbeit mit anderen Partnern: Universitäten im In- und Ausland, nationalen und internationalen Bildungsträgern u. ä.
Im Zusammenhang mit den Beziehungen zum (einstigen?) Bruderland Guinea-Bissau äußert Indira P. die Meinung, dass CV’s internationale Interessen und Beziehungen zuerst an die ehemalige Metropole Portugal sowie an die EU gerichtet sind; danach folgen die USA (historische Beziehungen zur ehemaligen Seefahrt- und Walfänger-Stadt Boston) und -mit einigem Abstand- Brasilien.
Erst danach folgt Afrika – und dort zunächst der große Nachbar Senegal sowie das politisch und wirtschaftlich für CV wichtige Angola.
Guinea-Bissau ist (außer im historischen Kontext) von wenig aktueller Bedeutung – neuerdings allenfalls als Herkunftsland zunehmender Migration, die aber eher negativ wahrgenommen wird.
Für künftige ACG-Veranstaltungen wurden mögliche inhaltliche Beiträge zu CV (Präsenz / virtuell) in Aussicht gestellt.
Fundação Amílcar Cabral
Der Leiter der Stiftung, António Rocha, hat unsere Reisegruppe in der Vorbereitung und vor Ort unterstützt und vor allem die Kontakte während des Besuches organisiert und ermöglicht.
Die Stiftung betreibt u.a. das Amílcar-Cabral-Museum an prominenter Stelle im Bairro Alto, das Schriften, Plakate, Fotographien und andere Exponate in einer Dauerausstellung bereitstellt. Anlässlich des Centenários hatte die Stiftung außerdem eine große öffentliche Ausstellung in der Altstadt aufgebaut, die auf großes Interesse stieß. Beide Ausstellungen hat unsere Gruppe besucht.
Universidade de Santiago (US), Assomada
Treffen mit dem Gründer und Rektor dieser privaten Universität, Prof. Fernandes (Gründungsrektor seit 2008) und Nardi Sousa von der soziologischen Fakultät.
Der Haupt-Campus befindet sich in Assomada, etwa 40 km nördlich von Praia. Der schön gelegene Campus nutzt das ehemalige Gelände eines Hospitals. Die US bietet 19 Undergraduate- und 7 Master-Abschlüsse sowie Ausbildungsgänge wie Multimedia Development, Electromechanics Studies und Solar Power System, und (am Campus Tarrafal) Rural Tourism and Ecology.
Der dezentral gelegene Campus (mit Nebenstellen in Tarrafal und Praia) sollte vor allem Studenten aus den ländlichen Regionen von Santiago zur Verfügung stehen.
Außerdem werden Lehr-Module zum (virtuellen) Fernstudium entwickelt, die sich auch an Studenten in den PALOP-Ländern (einschl. GB) wenden sollen.
Mit Nardi Sousa wurde vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt über einen möglichen CV-Beitrag bei der ACG-MV 2026 zu verhandeln.
Tarrafal
Die Regionalhauptstadt im äußersten Norden der Insel Santiago ist wegen der malerischen Bucht nebst Strand und Fischerbooten, alten und neuen Hotelanlagen, seiner Altstadt und dem alten (nicht mehr funktionierenden) Hafen neben der Cidade Velha die beliebteste Tourismus-Destination der Insel. Deshalb wurde auch die Tourismus-Fakultät der Universität Santiago hier eingerichtet.
Es handelt sich vorwiegend um -überwiegend inländische- Individualtouristen sowie einige wenige Ausländer. Das ehemalige Zollhaus am Hafen ist zu einem Luxushotel ausgebaut worden, das auch mit Bussen von Pauschaltouristen der höheren Kategorie angesteuert und belegt wird. Für die großen internationalen Tourismus-Ketten ist Tarrafal (noch) keine Destination, dieser Tourismus und seine Hotels ist auf Sal und neuerdings auch S. Nicolau konzentriert.
Das ehemalige Konzentrationslager „Campo de Tarrafal“
1936, in den Anfangsjahren der faschistischen Salazar-Diktatur, war beim gleichnamigen Ort Tarrafal ein Konzentrationslager (Campo de Concentração do Tarrafal) errichtet worden.
Am 29. Oktober 1936 kamen die ersten Gefangenen im Lager Tarrafal an. Insgesamt waren in den 17 Jahren der ersten Phase des Bestehens des Lagers etwa 340 Gefangene hier inhaftiert. Dies waren vorwiegend Matrosen der Organização Revolucionário da Armada, die sich am 8. September 1936 an einer Revolte beteiligt hatten, sowie Angehörige der internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Daneben wurden Republikaner, Oppositionelle, alle Angehörigen des Sekretariats der Kommunistischen Partei Portugals und andere Oppositionelle zum Salazar-Regime (oder: des Salazar-Regimes) gefangen gehalten.
Die Parallelen zu den im selben Zeitraum entstandenen deutschen KZs sind offensichtlich: so waren Kommandanten und Offiziere der Wachmannschaften im KZ Dachau ausgebildet worden. Das Wachpersonal bestand in der ersten Phase aus 25 Mitgliedern der portugiesischen Geheimpolizei PVDE (ab 1945 PIDE). Außerdem war dort ein Bataillon von etwa 75 angolanischen Hilfswächtern und einigen Kapverdianern (nach dem SS-Vorbild der sog. HIWIs in deutschen KZs).
Allerdings ist festzustellen, dass es sich bei Tarrafal nicht um ein Vernichtungslager handelte – trotzdem wurden die politischen Gefangenen erheblichen Repressionen bis hin zu Folter und Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung ausgesetzt.
Im Zusammenhang mit den ausbrechenden Kolonialkriegen wurde 1966 das in den 50er Jahren stillgelegte Lager als „Campo de Trabalho de Chão Bom“ reaktiviert, um dort Mitglieder der antikolonialen Unabhängigkeitsbewegungen aus Kap Verde, Guinea-Bissau und Angola auf Anordnung der PIDE zu inhaftieren, zumeist ohne Gerichtsurteil („Präventions- oder Schutzhaft“ – dies wieder ganz in der unseligen Tradition von Dachau)[3].
Nach der Nelkenrevolution am 25. April 1974 weigerte sich zunächst die PIDE -in der Hoffnung auf eine Konterrevolution in Portugal- das Lager zu schließen. Am 1. Mai 1974 befreite die Bevölkerung von Tarrafal und der Insel Santiago die Gefangenen im Rahmen einer großen Demonstration. Das Lager wurde zunächst von der neuen PAICV-Regierung weiter als politisches Gefängnis genutzt, bis es am 19. Juli 1975 ganz geschlossen wurde.
In den 1990er und 2000er Jahren war die Anlage restauriert und als Museum eingerichtet worden. Am 20. Januar 2016 wurde das Museu do Tarrafal unter Anwesenheit des kapverdischen Premierministers José Maria Neves und des portugiesischen Premiers António Costa neu eröffnet.
Bernd Leber (Dezember 2024)
[1] In Bissau sorgten die riesigen Amílcar-Puppen der „Kumpuduris di Paz“ der Grupo do Teatro do Oprimido (GTO), einer Partnerorganisation des WFD, für Aufsehen, und viele Teilnehmer ließen sich mit „Amilcar“ fotografieren.
[2] In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass das langjährige Mitglied im ACG-Freundeskreis, Pedro Pires (Saarbrücken/Praia), seinerzeit beim UN-Sekretariat für Desertifikation in Bonn akkreditiert und an der Ausarbeitung dieser Konvention wesentlich beteiligt war
[3] In Mosambik war ebenfalls in den 30er Jahren ein Konzentrationslager für politische Gefangene eingerichtet und später (ab 1961) vor allem während des Befreiungskrieges und ab 1974 während des Bürgerkrieges benutzt worden. Es befindet sich auf der in der Bucht von Maputo gelegenen Insel Xefina und galt -während meiner Demobilisierungs-Mission bei UNOMOZ (1991), wo ich es einmal besuchen konnte- noch als militärische Anlage. Das ehemalige KZ verfällt seit der Unabhängigkeit, seine Existenz ist -im Gegensatz zu Tarafal- kaum bekannt, und es gibt keine Pläne, es als Gedenkstätte einzurichten. Vielleicht könnte die ACG in diesem Sinne eine Zusammenarbeit zwischen Kapverden und Mosambik anregen.